6. Schrottimmobilien werden Giftpapiere

Begonnen hat alles ganz harmlos und durchschaubar, wie so oft im Leben.

Es war einmal, da gingen Häuslebauer zur Bank und holten sich ein Darlehen für ihr Bauvorhaben. Das war in den USA, und da ist manches anders als bei uns. Wer bei uns einen Baukredit bei der Bank bekommt, haftet für Zins und Tilgung, einmal mit seinem Häusle, auf das eine Hypothek (Hypo) eingetragen wird; außerdem haftet er persönlich mit seinen ganzen Einkommen und Vermögen für die Rückzahlung des Kredits.

Nicht so in den USA. Die Haftung für das Hausdarlehen ist auf das Haus beschränkt. Wer Zins und Tilgung nicht mehr tragen kann oder will, der steckt den Hausschlüssel in einen Briefumschlag und schickt ihn der Bank. Die kann dann das Häusle versteigern und sich aus dem Erlös befriedigen; mehr aber auch nicht.

„Jingel Mail“, auf Deutsch „Glöckle-Post“ heißt das. Vor „Jingel Mails“ hatten und haben die amerikanischen Banken Angst; vor allem wenn sie wissen, dass das Häusle nicht so viel wert ist, wie die Hypo darauf oder wenn die Immobilienpreise so fallen, dass der Wertverlust das Darlehen nicht mehr deckt. Doch damals war in den USA eine große Immobilienblase im Entstehen. Die Hauspreise stiegen ab 1996 im Schnitt jährlich um 11 %, insgesamt von 1996 bis 2006 um 190 %. Erst 2006 kam das Erwachen, als die Immobilienblase platzte und der Wertverlust schließlich bei 17 Billionen US-$ lag. Es kam zur weltweiten Finanz- und dann Wirtschaftskrise.

[Die statistischen Daten stammen, soweit nicht anders vermerkt von Hans-Werner Sinn, Leiter des ifo-Instituts München. Zur Vertiefung sein Buch: Kasino-Kapitalismus, Berlin 2009; außerdem: Roubini, Nouriel und Mihm, Stephen, Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft, Frankfurt / M. 2010 – Roubini hatte schon früh vor der Krise gewarnt, was ihm den Spitznamen „Dr. Doom“ (Dr. Untergang) eingebrachte hatte.]

Diese Zusammenhänge wollen wir uns nun genauer ansehen. - Die „Welt von Haus und Grund“ war so heil und himmlisch, dass 1995 der US-Präsident Bill Clinton auf eine Idee kam. Jeder Amerikaner sollte glücklicher Hauseigentümer werden. Nun sind die USA kein Sozialstaat, wo der Staat in so einem Fall gefordert ist. Der „Mr. President“ von den Demokraten dachte an die gut verdienenden Banken. So erließ Bill Clinton eine „Clinton-Bill“ [= Clinton-Gesetz].

Die Banken hatten sich nämlich gegen faule Häusle-Darlehen durch „Rote Linien“ [red lines] um ganze Stadtteile abgesichert. Jenseits der „Roten Linien“ wurden keine Hauskredite vergeben; das Risiko war zu groß.

In US-Städten gab und gibt es viele Stadtteile mit sozial und rassisch benachteiligter Bevölkerung. Der Zerfall und die Verwahrlosung schritten in diesen Slums zusehends voran. Als Grund wurden nun die „Roten Linien“ ausgemacht, die die Banken gezogen hatten. „Diskriminierung“ sah die US-Regierung jetzt darin. Und die „Clinton-Bill“ verschärfte ein Gesetz aus dem Jahr 1977 mit dem schönen Namen „kommunales Wiederaufbaugesetz“ [CRA – Community Reinvestment Act]. Die Banken mussten nun anteilmäßig Haus-Darlehen in die rot umrandeten Stadtteile vergeben.

Die Bankenaufsicht überprüfte dies durch ein ausgefeiltes Berichts- und Bewertungssystem. Die Berichte wurden veröffentlicht. Anklagen z. B. durch den Chicagoer Anwalt Barack Obama, heute US-Präsident, folgten in großem Stil. Bekannt ist der erfolgreiche Prozess von Obama gegen die bedeutende Citybank wegen systematischer Zurückweisung von Krediten für Minderheiten. Es kam zu Sammelklagen ganzer Stadtteile. Die Organisationen der Minderheiten bekamen erhebliche Mitspracherechte bei der Vergabe von Krediten.

So gab es einen „Run“ auf „Haushalte ohne Haus“ in den Slums; die Statistik musste stimmen. Hypothekenmakler wurden losgeschickt und bekamen für jeden hereingeholten Vertrag Prämien. NINJA-Kredite wurden diese Darlehen genannt [NINJA = No Income, No Jobs or Assets, also „kein Einkommen, kein Job, kein Vermögen“].

Es kam noch besser. Bald konnten Leute „ohne Einkommen, ohne Job, ohne Vermögen“ auf Reisen gehen und in Urlaub fahren. Sie lebten himmlisch durch die Wertsteigerungen von ihrem Häusle. „Nimm einen Haus-Kredit und kauf Dir ein neues Auto“, warben Banken. Die Eigentümer erhielten Darlehen bis zu 125 % über dem Wert des Anwesens; dieser wurde durch die Immobilienblase unrealistisch in die Höhe getrieben.

Üblich waren zuvor Beleihungen bis zu 80 % des Immobilienwerts. Jetzt war alles anders. Kreditkartenschulden wurden so glatt gezogen. Irgendwelche Prüfungen der Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer gab es nicht mehr. „Was in der Zeit von 2001 bis 2007 in Amerika stattfand, sprengt alle Vorstellungen eines gesunden Wirtschaftens.“ [Sinn hat im Kasinokapitalismus, S. 114, so eine Werbeanzeige abgedruckt: „Need more cash? Use your home!“ „Mehr Bargeld nötig? Nimm Dein Haus!“]

Der Markt für Hypothekenkredite lag ab 2000 um etwa 60 % über dem Wert der Investitionen in den Hausbau. Das zeigt, dass der Überschuss reine Konsumkredite waren. Doch irgendwann trugen die Häuser trotz der „Wertsteigerungen“ die darauf lastenden Schulden nicht mehr. Wir können auch sagen, die Wertsteigerungen wurden als „Luftnummern“ erkannt. Ab Mitte 2006 merkte es der „Markt“, d.h. die Leute. Die Zwangsversteigerungen häuften sich und es kam zu Wertberichtigungen. Ab dann fielen die Häuserpreise so schnell wie sie zuvor gestiegen waren (z.B. von Juni 2006 bis Jan. 2009 um 30 % oder insgesamt 7,1 Billionen US-$).

Am Ende stand ein Verlust von 17 Billionen US-$ (Jan Stewart). „Angesichts des drohenden totalen Kollapses des Weltfinanzsystems, der die Rücklagen von Sparern vernichtet hätte und die Weltwirtschaftskrise von 1929 wie eine Gartenparty hätte aussehen lassen, mussten die Regierungen für Banken, die sich am Rande der Pleite befanden, bürgen.“ [Stewart, Ian, Weltformeln, Reinbek bei Hamburg 2015, S. 471] Lehman Brothers hatte gezeigt, „dass es unklug wäre, ein weiteres Exempel zu statuieren“. Denn daraufhin war der Interbanken-Handel zusammengebrochen.

Es kam zu massenhafter Glöckle-Post für oft arg heruntergewirtschaftete Häuser, was das Erwachen beschleunigte. Im Vergleich zu ihrer Hypothekenschuld hatten die Häuser oft nur noch Schrottwert. Damit haben wir die „Schrottimmobilien“ entdeckt.

 

Gleichzeitig wurde ein zweiter Schwindel ruchbar, der zur zweiten Luftnummer, zu der Blase von „Derivaten“, geführt hatte. Die Banken wussten von Anfang an, dass die Darlehen an Einkommens- und Vermögenslose (NINJA-Kredite) „heiße Kartoffel“ waren; man musste sie möglichst schnell wieder loswerden. So verkauften die Banken sie einfach weiter.

An sich ist ein Kreditgeschäft für beide Seiten ein Vertrauensgeschäft. Die Bank als Gläubiger und der Häuslebauer als Schuldner sollten sich „offen, ehrlich und zuverlässig“ begegnen. Als ich vom Weiterverkauf der Hypo-Kredite in den USA hörte, fragte ich einen Sparkassen-Mann, ob das auch bei uns möglich sei. Seine Antwort überraschte mich schon: „Es ist möglich, aber wir Sparkassen machen es nicht.“ Ich meine, das sollte verboten sein; es sei denn beide Seiten haben dem schriftlich zugestimmt. Denn sonst kann mir meine Bank einseitig einen anderen, womöglich unseriösen und abenteuerlichen Vertragspartner aufdrücken. Ich wollte z.B. nie Darlehensnehmer einer Zockerbank oder einer Großbank wie der Deutschen Bank sein.

Damit sind wir zu den Derivaten vorgedrungen. Sie wurden zu „Giftpapieren“. Das wollen wir uns genau ansehen. Der US-Groß-Investor Warren Buffet hatte schon 2003 gewarnt: „Nach unserer Meinung sind jedoch Derivate finanzielle Massenvernichtungswaffen, die Gefahren mit sich bringen, die, obzwar gegenwärtig erst latent, potenziell tödlich sind.“ [zitiert nach: Sinn, Hans-Werner, Kasino-Kapitalismus, S. 149]

Derivate sind „Ableitungen“ von Grundgeschäften [derivare lat. = ableiten]. Im Verhältnis zum eigentlichen, herkömmlichen Grundgeschäft (z.B. Kreditvertrag für ein Häusle) wird ein neues zusätzliches Rechtsgeschäft abgeschlossen. Der neue Vertrag soll in der Regel das mit dem Grundgeschäft verbundene Risiko übernehmen oder absichern (z.B. Versicherung gegen Zinssteigerungen). Ursprüngliches Ziel von Derivaten ist die Abspaltung des Risikos oder ein Risikoverkauf gegen Geld. Dabei kann, muss aber nicht, auch das Grundgeschäft mitverkauft werden.

In der Erfindung von Derivaten waren die Finanzmärkte gerade seit den 1990er Jahren unglaublich einfallsreich (z. B. Termingeschäfte und Leerverkäufe mit Aktien). Es kam zu einem massenhaften Handel mit Risiken, zu Glücksspiel und Spekulationen, zur Geldschöpfung ohne Wertschöpfung, zum „Kasinokapitalismus“.

Kehren wir zu unseren faulen Hypo-Darlehen, den NINJA-Krediten zurück. Die dazu gezwungenen Banken wollten ihre „NINJA-Papiere“ unbedingt loswerden und mussten sich das etwas kosten lassen. Denn Zinshöhe bzw. Rendite richten sich nach der Ausfallwahrscheinlichkeit. Den Käufern von NINJA-Krediten mussten also besonders hohe Renditen versprochen werden. Schlechte Schuldner müssen hohe Zinsen zahlen. Das gilt auch für Staaten (Mitte Mai 2015: Staatsanleihen von Griechenland rund 25 %, von Deutschland 0 %).

In den USA gab es bald einen schwunghaften Handel mit solch minderwertigen, sagen wir ruhig „faulen Krediten“. Und es entstand ein eigener Markt, der sich „Subprime-Markt“ [= „unterwertiger Markt“ für Hypo-Kredite] nennt. Hier werden bis heute Darlehen gehandelt, die über 90 % des Immobilienwerts finanziert haben oder einen Schuldendienst von mehr als 45 % des Einkommens eines Kreditnehmers beanspruchen. Vor der Clinton-Bill (1995) gab es keine Subprime-Kredite.

Obwohl das jeder in den USA wusste, schnellte der unterwertige Hypo-Markt [Subprime-Markt] ab 2003 sprunghaft in die Höhe. Der Anteil der „unterwertigen Kredite“ stieg von 10 % im Jahr 2001 auf 34 % aller Haus-Darlehen in 2006. Die Verlockung lag in hohen Erträgen [Renditen] für diese Kredite. Auch hohe Provisionen und Maklergebühren heizten die Geschäfte an.

Die Käufer der NINJA-Papiere hatten nun eine schlaue Idee. Sie bündelten mehrere solcher Kredite in einem Paket und machten daraus einen neuen „Pfandbrief“. „Verbriefung“ nannten sie den Vorgang und „hypothekenbesicherte Wertpapiere“ [engl. MBS = Mortgage backed Securities] waren das Ergebnis – hochrentabel und brandgefährlich.

Doch angeblich war das alles gut kalkulierbar. Wer mehrere Risiken bündelt, der verhält sich wie eine Versicherung. Denn stets fallen nur einzelne Schuldner aus, nicht viele, schon gar nicht alle. Um das zu verdeutlichen, wurden sogar mathematische Formeln entwickelt und verbreitet. Der britische Mathe-Guru Ian Stewart hat sie für die Finanzderivate beschrieben und widerlegt. Er zeigt, dass der Herdentrieb der Spekulanten diese Annahmen aushebelte. Das ganze System, hier der Immobilienmarkt, gerät ab einer gewissen Risikoschwelle ins Wanken und bricht zusammen. Damit brechen auch diese Wahrscheinlichkeitsgleichungen zusammen. [Stewart, Ian, Die Midas-Formel, Die Black-Scholes-Gleichung, in: Weltformeln, Reinbeck bei Hamburg 2015, S. 467 ff.] – Wir können auch sagen: Irgendwann wird der Schwindel von den Leuten, sprich dem „Markt“, erkannt.

Nun kommen wir wieder zu einer amerikanischen Besonderheit. Wenn bei uns eine Bank Pfandbriefe ausgibt [emittiert], dann haftet auch sie, wenn z.B. der Hypo-Schuldner ausfällt. Nicht so in den USA. Wer die „heiße Kartoffel“ weitergegeben hat, der ist wie der Absender der „Glöckle-Post“ alle Sorgen los. Ein schneller Weiterverkauf minderte das Ausfallrisiko und war dazu mit hohen Bank- und Maklergebühren verbunden, was die Papiere immer teurer, den Schein-Wert immer größer machte. Die Geschäfte liefen blendend, das Rad drehte sich immer schneller.

(Europäische Käufer glaubten später die „hypotheken-gesicherten US-Pfandbriefe“ seien mündelsicher, entsprächen unseren. Viele, wahrscheinlich fast alle kauften diese und andere Derivate, ohne sie zu verstehen, zumal die Zentralbanken sie „genehmigten“. Dazu sagte 2008 ein hochrangiger Vertreter der französischen Zentralbank [Banque de France]: „Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, ein Finanzprodukt nur dann zu genehmigen, wenn es wenigstens einer von uns wirklich verstand. Diesen Grundsatz konnten wir aber nicht durchhalten, denn wir mussten stets befürchten, dass dann die Briten oder die Deutschen genehmigen würden. Also haben wir die Augen zugedrückt und die Genehmigung erteilt.“ [zitiert nach Sinn, Kasino-Kapitalismus, S. 175])

Doch der Einfallsreichtum machte in den USA immer weitere Fortschritte. Warum nur „hypotheken-besicherte Wertpapiere“, MBS-Papier, handeln? Da gibt es doch noch mehr Geschäftsideen. Das waren die CDO [= Collateralized Debt Obligations], auf Deutsch „besicherte Schuldverschreibungen“, was auch gut und sicher klingt. Hier wurde alles zusammengemischt, was angeblich das Ausfallrisiko mindert. Dahinter verbargen sich u. a. Kreditkartenschulden, Autoleasingverträge, Bürgschaften. Es war eben ein umfassender und vor allem nun undurchschaubarer „Handel mit Risiken“.

Nun gibt es in den USA Einrichtungen, die behaupten, für Durchschaubarkeit und Transparenz zu sorgen, sie zu garantieren. Das sind vor allem die drei großen „Bewertungsgesellschaften“ für Ausfallrisiken, nämlich (1.) Moody‘s, (2.) Standard & Poor’s Corporation und (3.) Fitch Ratings. Sie nennen sich „staatlich anerkannte Ratingagenturen“. Sie vergeben – gegen Gebühren – Noten von AAA bis D. Die beste Kreditwürdigkeit eines Landes, einer Staatsanleihe oder eines Wertpapieres wird mit AAA (Tripel-A) ausgezeichnet. Über A+ geht es zu BBB (Tripel-B), zu CCC für Schrott, bis zu D für „Default“ [Ausfall].

Mit ihnen musste man sprechen, um aus schlechten „Wert“-Papieren gut bewertete zu machen. Das gelang mit dem „Wasserfall-Prinzip“. Viele z.B. hypo-besicherte und andere Wertpapiere wurden in einen großen Topf (Pool) gesteckt. Das waren nun „anspruchsbesicherte Wertpapiere“ [ABS = Asset-backed Securities], von denen die CDO [siehe oben] und die MBS [siehe oben] Unterfälle sind. In diesem großen Topf oder Pool wurden alle eingehenden Zinsen, Tilgungen, erfolgreichen Versteigerungserlöse usw. von Krediten gesammelt. In den Zeiten stark steigender Immobilienpreise brachten auch die „Glöckle-Post“ und die Subprime-Kredite noch Zuflüsse.

Der Pool vergab [emittierte] nun wieder neue, kleinere Verbriefungen, die sich ebenfalls CDO [= besicherte Schuldverschreibungen] nannten. Diese neuen Derivate wurden in Bonitäts-Tranchen eingeteilt. Wer aus dem eingehenden Geldfluss zuerst voll bedient wurde, galt als sicher. Diese „besten Papiere“ erhielten die Bewertung Trippel-A (AAA). Das war die AAA-Tranche oder Senior-Tranche. Was übrig blieb, floss weiter zu den Papieren mit A+, genannt Mezzanine-A-Tranche, dann zur Mezzanine-B-Tranche. Die schlechtesten Papiere gehörten zur „Eigenkapital-Tranche“, was sich auch nicht so schlecht anhört, aber ganz schlecht war. Diese Papiere sollten aus dem Eigenkapital, also z.B. dem Resterlös aus Versteigerungen, bedient werden.

Das Ganze war ein „Wasserfall“ oder eine „Verbriefungskaskade“, wobei es unten nur noch wenig oder gar nicht tröpfelte. Doch je geringer die tatsächlich Erfolgsaussicht, umso höher das Versprechen. Denn wie gesagt, die schlechtesten Risiken bekommen die höchsten Zinsen und Renditen „versprochen“. (Denken wir an die heutigen Griechenland-Anleihen. Vielleicht haben die Spekulanten auch Glück, weil die EZB und wir Deutschen doch noch alles retten. Aber wie lang geht das?)

Die großen Kunden und damit die Umsatzbringer der drei Ratingagenturen waren die Investmentbanken wie Goldman Sachs, Lehman Brothers usw. Sie schafften etwas Erstaunliches. „Auf geheimnisvolle Weise entstanden durch die Strukturierungen nämlich überwiegend AAA-Tranchen, obwohl die ursprünglichen Kredite an die Hauseigentümer keinesfalls nur dieser Kategorie zuzurechnen waren. Der IWF [Internationale Währungsfonds] schätzt, dass nicht weniger als 80 % des Volumens aller ausgegebenen CDO-Tranchen der AAA-Kategorie zugehörten und lediglich 2 % der Eigenkapital-Tranche.“ [Sinn, Kasino-Kapitalismus, S. 145 f.]

Solche CDO-Töpfe wurden nun hintereinander geschaltet – und niemand dachte mehr an die Schrottimmobilien, die dahintersteckten. Jetzt hatten wir die richtig tödlichen „Giftpapiere“, Derivate besonderer Art.

Der erwähnte Ian Stewart beschreibt sie so:

„Derivate sind weder Geld noch Anlagen in Aktien oder Beteiligungen. Sie sind Anlagen in Anlagen, Versprechungen auf Versprechungen. Die Händler von Derivaten hantieren mit virtuellem Geld, Zahlen im Computer. Sie leihen es sich von Investoren, die es wahrscheinlich selbst anderswo geliehen haben. Häufig haben sie es überhaupt nicht geliehen, nicht einmal virtuell: Sie sind mit einem Mausklick die Verpflichtung eingegangen, es sich zu leihen, falls es jemals notwendig werden sollte. Aber sie haben gar nicht die Absicht, es notwendig werden zu lassen; bevor es geschieht, wollen sie das Derivat verkaufen.“ [Stewart, Ian, Weltformeln, S. 469]

Und wem verkaufte man diese Derivate am leichtesten? Ahnungslosen Europäern, am besten den Deutschen mit ihren Landesbanken und den drei Großbanken, der Deutschen, der Commerz- und der Dresdener Bank. Es kam der Ausdruck vom „Stupid German Money“ auf. In Deutschland gab es nämlich Geld, vor allem Dollars, in Überfluss. Das suchte weltweit nach Anlagemöglichkeiten. Wie kam das? Das beruhte u.a. auf unseren Außenhandelsüberschüssen und den jahrelangen Außenhandelsdefiziten der USA. Kapitalausfuhr wirkt in der Außenbilanz wie Wareneinfuhr und schafft so ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Die Chinesen waren insoweit klüger und vorsichtiger. Sie kauften mit ihren überzähligen US-$ nicht Giftpapiere, sondern US-Staatsanleihen. Doch das ist ein weiteres Thema, das wir später einmal abhandeln können.

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