32. Führung im Zeitalter der KI

Wir erkennen zwei unterschiedliche Einstellungen zur „Führung im Zeitalter der KI“ (= Künstliche Intelligenz).

Die einen sagen, es wird alles ganz anders. Wenn alle Daten ins System eingespeist sind, dann kann es nur eine richtige Entscheidung geben. Und diese wird dann vom intelligenten, d.h. denkenden Roboter, sogar besser gefunden als vom Menschen. Denn mit riesigen Datenmengen kann künstliche Intelligenz besser umgehen als menschliche.

Die Gegenmeinung sagt: „Der Mensch bleibt für die Entscheidungsfindung unersetzlich, kann sie aber durch Daten untermauern.“ [Fabian Schladitz, Künstliche Intelligenz ist der Hammer. Doch wo sind die Nägel, in: WWW.Handelsblatt-Journal.de, „Künstliche Intelligenz“, März 2019] KI-Maschinen sind dann Zuarbeiter für den Entscheider, vergleichbar Statistikern, Controllern u.ä.

Es liegt nahe, dass die erste Meinung jene vertreten, die dem Menschen auch keinen freien Willen zubilligen. Für sie, die Behavioristen, ist das Hirn wie ein Hohlspiegel, in dem die äußeren Eindrücke eingefangen werden und Reaktionen auslösen. Künstliches und menschliches Hirn arbeiteten danach im Grundsatz gleich.

Wir haben diese Frage im vorletzten Blog-Bericht ausführlich erörtert und die Überzeugung vertreten, dass der Mensch einen freien Willen hat. Entscheiden, also Handeln unter Unsicherheit, und schöpferisches Denken kann keine Maschine übernehmen. Vor allem entscheiden sich Menschen unterschiedlich und verfolgen dann unterschiedliche Ziele.

Die nächste Frage ist: Wer ist in Gruppen, Gemeinschaften und Unternehmen für welche Entscheidungen und Zielsetzungen zuständig und trägt dafür Verantwortung? Das ist zugleich die Frage nach Führung und Ausführung in Organisationen. Ändert sich daran etwas im Zeitalter der KI?

Wir haben in früheren Blog-Berichten bereits „Führen, Steuern und Ordnen untersucht und unterschieden. Danach kann KI möglicherweise einmal ausführen und steuern gemäß vorgegeben Zielen mit Zeit und Zahlen. Führen und ordnen kann sie aber nicht.

Bleibt hier alles beim Alten? Das kommt darauf an! Wer die vielen Aufsätze und Stellungnahmen zu „Führen im Zeitalter der KI“ liest und sich mit der Sache schon eingehender beschäftigt hat, dem kommen viele Forderungen, z.B. Führen durch Auftrag statt Befehl, bekannt vor.

In einer globalisierten und vom digitalen Fortschritt getriebenen Welt ändert sich die Lage der Wirtschaft und der Politik oft und schnell. Neue große und kleinere Unternehmen, Weltkonzerne und Gründer (Start-Ups) tauchen auf dem „Schauplatz des Wettkampfs“ auf. Und (!) es geht um Überleben oder Untergang. Das ist ein wahres, zum Glück meist unblutiges Kriegstheater. Und wer sich auskennt, trifft da auf bekannte Erfahrungen und Grundsätze.

  • En Mensch allein kann das Geschehen nicht überblicken. Die KI, das „Internet der Dinge“, die digital voll vernetzte Fabrik und nicht zuletzt die neuen Marktteilnehmer mit neuen Strategien und Produkten machen das Geschehen komplex; d.h. verwickelt und schwer durchschaubar. Die Folgerung heißt: Führen mit Stäben, und zwar generalstabsmäßig (dazu unten mehr).
  • Unternehmerisch-strategische und technisch-digitale Verantwortung müssen zusammengeführt werden. Auch das ist Stabsarbeit.
  • Letztlich geht es wie beim Militär um Führung bei unübersichtlichen, schnell wechselnden Lagen. Beteiligt sind da kleine schnelle und übergroße Angreifer. Dazu wurden unter bittersten Bedingungen überlebenswichtige Erfahrungen gesammelt Sie gingen in die militärischen Führungsgrundsätze ein. Es lohnt sich, diese unter den heutigen Bedingungen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen.

In der früheren Heeresdienstvorschrift (HDv) lautet der erst fettgedruckte Satz bei „Führungsgrundsätze“: „Truppenführung ist eine Kunst, eine auf Charakter, Können und geistiger Kraft beruhende freie, schöpferische Tätigkeit.“ [HDv 100/1 Truppenführung, Oktober 1962; von 1962 bis 1964 war ich Zeitsoldat] – Damit bleibt hier KI außen vor.

Da das Geschehen so komplex, verwickelt und schwer durchschaubar ist, empfiehlt die HDv: „Die Lage ist meist ungewiß. Selten läßt sich vor dem Gefecht ein klares Bild über die Verhältnisse beim Feind gewinnen. Oft wird auch die Lage beim Nachbarn, mitunter sogar in der eigenen Truppe nur lückenhaft bekannt sein. In gespannter Lage jedoch auf Meldungen zu warten, ist selten ein Zeichen willensstarker Führung, oft ein schwerer Fehler.“ [HDv 100/1 a.a.O., Nr. 104] – Im Wirtschaftskampf gilt das in abgemilderter Form.

Für die Aufklärung der Feindlage ist in einem Bataillons- oder Generalstab ein eigener Offizier zuständig. Damit sind wir bei der Führungsunterstützung „Stab“. Stäbe entscheiden nicht, sie bereiten Entscheidungen vor. Entscheider ist stets der Kommandeur, also die verantwortliche Führungskraft. Allerdings haben in deutscher Tradition Generalstabsoffiziere die Pflicht, ihre eigene, vor allem auch gegenteilige Meinung vorzutragen. Dabei wird Perikles, der größte Feldherr im alten Athen, zitiert: „Denn auch dies ist unsere Art: da am freiesten zu wagen, wo wir am besten durchdacht haben.“ [HDv 100/1, a.a.O., vor Nr. 64]

Stäbe werden im Zeitalter der KI besonders wichtig. Denn hier werden die verschiedensten Fachbereiche (z.B. Strategie und Taktik, Technik und KI) zusammengeführt. Wie der Stab so dient auch die KI der Vorbereitung von Entschlüssen und Entscheidungen.

Trotz der oft großen Ungewissheit und Unübersichtlichkeit der Lage  verlangt erfolgreiche Führung vom Truppenführer klare und einfache Entschlüsse und Befehle. „Jedem Entschluss geht eine Beurteilung der Lage voraus. Sie verlangt rasche Gedankenarbeit, einfache, nüchterne und folgerichtige Erwägungen sowie Beschränkung auf das Wesentliche.“ HDv 100/1, a.a.O., Nr. 104]

KI kann dabei Hilfsdienste leisten, aber nie die letzte Entscheidung und Verantwortung übernehmen. Zur Umsetzung zitiert die HDv Moltke: „Fester Entschluss und beharrliche Durchführung eines einfachen Gedankens führen am sichersten zum Ziel.“ [HDv 100/1, a.a.O., vor Nr. 99]

Wichtig, kriegsentscheidend ist, dass sich der Chef des Unternehmens zu einer Entscheidung durchringt. Die schwächsten Führungskräfte und Feldherrn waren stets die Zauderer.

Im Zeitalter der KI können die Führungskräfte auch nur mit Aufträgen und nicht mit Befehlen führen. Man denke nur an den Einsatz eines Programmierers. Der Chef kann die Ziele für ein IT-Programm mit ihm durchsprechen und vereinbaren. Den Weg zum Ziel, die Ausarbeitung des Programms, muss der Programmierer eigenverantwortlich und selbständig durchführen. Die Zielerreichung hat er dem Chef zu melden (Auftrags- statt Befehlstaktik).

Wer an Tagungen zur KI und ihrem Einfluss auf unser Leben teilnimmt, dem fällt die „Schein“-Wissenschaftlichkeit auf. Die Vortragenden und Experten verlieren sich in Einzelheiten, in den Mengen von „Fakten und Daten“. Und solche Chefs schreiben am liebsten auch alle Details vor.

Clausewitz hält solche Leute geradezu für ungeeignet zu Strategie und großer Feldherrnkunst: „Darum sind auch diejenigen immer zu Recht als lächerliche Pedanten verspottet worden, die für die Erziehung eines künftigen Feldherrn [es] nötig oder auch nur nützlich hielten, mit der Kenntnis aller Details anzufangen. Es lässt sich ohne große Mühe beweisen, daß sie ihm schaden wird, weil der menschliche Geist durch die ihm mitgeteilten Kenntnisse und Ideenrichtungen erzogen wird. Nur das Große kann ihn großartig, das Kleine nur kleinlich machen, wenn er es nicht wie etwas ihm Fremdes ganz von sich stößt.“  [Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Frankfurt/M. 1980, S. 106 f] Scharnhorst sagt kurz: „Man muss das Ganze stets vor seinen Teilen sehen.“

Der größte aller denkbaren Pedanten ist die KI. Denn sie steckt tief im eingespeisten Datensumpf. Eine freie, schöpferische Tätigkeit, ein Abweichen von festen Formeln (Algorithmen) ist ein Widerspruch zu den Abläufen bei der KI.

 Nun kommt noch ein weiterer ganz wichtiger Punkt, den KI nie ersetzen kann: Führung richtet sich an Menschen. Führung muss den Willen vieler auf ein gemeinsames Ziel ausrichten.

Führung erfolgt am besten unmittelbar, persönlich und mündlich. Sie muss eine Gruppe dazu bewegen, gemeinsame Ziele trotz Widerständen zu verfolgen und zu erreichen. Dazu brauchen Führungskräfte wieder jene Eigenschaften, die unsere Bürger von Politikern fordern: 1. Vertrauen, 2. Voraussicht, 3. Sachverstand, 4. Durchsetzungsvermögen und 5. Bürgernähe. Letzteres hängt eng am Vertrauen: „Vertrauen zwischen Führern und Geführten ist die Voraussetzung jedes Erfolgs und die Grundlage für den Zusammenhalt in Not und Gefahr.“ [HDv 100/1, a.a.O., Nr. 43]

Innerhalb der Gruppe und zwischen Führern und Geführten muss Kameradschaft herrschen: „Kameradschaft erweist sich im Handeln und im rechten Einstehen füreinander. Sie ist das Band, das die Truppe in allen Lagen fest zusammenschließt. … Wer mehr zu leisten vermag, muss dem weniger Erfahrenen und Schwächeren helfen. Falscher Ehrgeiz, Selbstsucht und Unaufrichtigkeit zerstören die Kameradschaft.“ [HDv 100/1, a.a.O., Nr. 44]

Menschen, die nur ihre Karriere kennen, weder ihren Kollegen noch dem Unternehmen dienen wollen, sind zur Kameradschaft und Führung untauglich. Das gilt auch und gerade im Zeitalter der KI, wo kreative Teams zusammengeführt werden müssen.

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