Wir erleben heute nicht nur zerfallende Staaten, sondern auch Wirtschaftskreisläufe, die zusammenbrechen.
Zum Nachdenken über Tags:Seit 1990 sehen wir eine immer stärker anschwellende Fluchtbewegung aus Afrika und dem Orient. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, dass es inzwischen mehr instabile als stabile Staaten gibt. Hinzu kommt ein Gürtel von hochgefährdeten Ländern – durch Terror und Bürgerkriege. Er zieht sich von Pakistan über den Nahen Osten bis Nigeria in Westafrika. Die westlichen Politiker stehen dem hilflos gegenüber. Sie meinen, die Welt mit ihrer neoliberalen Wirtschaftsideologie und einem westlichen Demokratieverständnis retten zu können.
Doch unsere Demokratie wollen diese islamischen und afrikanischen Länder überwiegend gar nicht; und der Neoliberalismus ist eine der Ursachen dafür, dass nun auch unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier erschreckt erkennt: „Die Welt ist in Unordnung geraten.“
Zur Vertiefung:Es gibt schon einige Wirtschaftswissenschaftler, die hauptsächlich den „Washingtoner-Konsens“ dafür verantwortlich machen. Darunter werden die neoliberalen Zwangsmittel des IWF (Internationalen Währungsfonds), der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltbank und der EU, z.B. auch gegenüber Griechenland, verstanden. Danach müssen Staaten, die in Schwierigkeiten geraten sind und Finanz- oder Wirtschaftshilfen brauchen, Bedingungen erfüllen. Diese führen bei genauer Betrachtung nicht zur Besserung, sondern zum Zusammenbruch der örtlichen Wirtschaftskreisläufe.
Denn diese hilfsbedürftigen Länder müssen sich erstens dem Freihandel öffnen und dann ihre Wirtschaft bis hin zur Infrastruktur (Wasser, Strom, Häfen usw.) privatisieren. Und das heißt, ihr letzter Reichtum wird an die Reichen in den reichsten Ländern verkauft, die ihn unter strikter Gewinnerzielungsabsicht dann nutzen (z.B. Verkauf des Wassers in Flaschen durch Nestlé).
Erik Reinert, der norwegische Wirtschaftswissenschaftler, beschreibt bis in die Einzelheiten, wie so die Wirtschaftskreisläufe in Peru, der Mongolei und in Teilen Afrikas zusammengebrochen sind. [Erik Reinert, Warum manche Länder reich und andere arm sind – Wie der Westen seine Geschichte ignoriert und deshalb seine Wirtschaftsmacht verliert, Stuttgart 2014, z. B. auf S. 110 ff.]
Sagen wir es doch einmal ganz vereinfacht. Wenn ein armes, nur spärlich industrialisiertes Land dem Wettbewerb des Weltmarkts ausgesetzt wird, dann geht seine örtliche Wirtschaft – bis hin zur Landwirtschaft und zum Handwerk – zugrunde.
In armen Ländern soll der Bauer mit Ochs und Pflug nach den Ansichten und Maßnahmen des „Washington-Konsenses“ dem Weizenfarmer aus den USA mit seiner hochtechnisierten Landwirtschaft standhalten? Der Weber und Schneider in Afrika soll sich wehren gegen die eingesammelten, billigen Altkleider aus Europa?
Tatsächlich brauchen junge Volkswirtschaften Schutz. Sie müssen über Jahrzehnte von unten nach oben aufgebaut werden. Die ostasiatischen Länder hatten es leichter, weil sie ein traditionelles Handwerk besaßen. Hinzu kommt, dass China, Indien und Südkorea sich einfach nicht an die Regeln des Neoliberalismus hielten. China hat mit schrittweisen Reformen und einer geradezu klassischen Merkantilpolitik seinen Aufstieg geschafft. Die Ziele saubere Umwelt und gerechte Einkommensverteilung wurden allerdings verfehlt.
Erik Reinert zeigt, wie die USA bis heute wirtschaftliche Schutzpolitik betreiben. Er sagt es so: „Trotz des heutigen Regelwerks [z.B. WTO, IWF] beschützen die USA ihre Baumwollindustrie, ihre Zuckerindustrie, ihre Hightech-Industrie und ihre Klein- und Mittelbetriebe – letztere mit staatlichen Krediten der Business Administration von jährlich etwa 60 Mrd. US-Dollar – während genau dieselbe Politik in armen Ländern mit umgehenden Sanktionen geahndet wird." [Erik Reinert, Warum manche Länder reich und andere arm sind, a.a.O., S. 126]
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