48. Die Tschechen machen es richtig!

Tagesgedanke: Die Tschechen sind EU-kritisch, haben keinen Euro – und sind damit sehr erfolgreich.   Zum Nachdenken über Tags:

Die Tschechen blicken mit Abstand auf die EU und die Brüsseler Kommandozentrale. Es ist einmal der dortige Zentralismus; er bedroht erneut die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erlangte junge Souveränität. Dass ihnen alles so genau vorgeschrieben wird, das haben sie von einem freien Europa nicht erwartet.

Hinzu kommt: „In Umfragen ist das Vertrauen der Tschechen in die Europäische Union seit der Schuldenkrise und der Flüchtlingskrise stetig gesunken“, erkennt sogar Matthias Barner von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. [Handelsblatt, 10.10.2016, dort auch die folgenden Daten.]

  Zur Vertiefung:

Die Arbeitslosenquote bewegt sich auf einem historisch niedrigen Niveau von voraussichtlich 4,4 % für 2017 (zum Vergleich: Deutschland 5,9 %).

Das Wirtschaftswachstum wird für 2016 mit deutlich über 2,5 % und damit über dem EU-Durchschnitt und Deutschland errechnet (Prognose für Deutschland in 2016: 1,9 %). Wenn dies anhält, kann Tschechien in absehbarer Zeit zum Wohlstandsniveau Westeuropas aufschließen. „Die Tschechen wollen sich bei ihrer Aufholjagd nach mehr Wohlstand nicht vom Weg abbringen lassen – schon gar nicht mit der Übernahme von mehr Verantwortung innerhalb Europas.“ [Handelsblatt, 10.10.2016]

Hier stellt sich eine spannende Frage: Brüssel verkauft sich immer als der Motor für mehr Wohlstand, Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum usw. Tatsächlich ersticken der Zentralismus und die Umverteilung, die Fehlanreize für Sozialtransfer und Staatsschulden, die Enteignung der Sparer durch die Nullzinspolitik und die Geldschwemme usw. die Eigeninitiativen der EU-Mitgliedsstaaten und der Bürger. Wer sich am wenigsten anstrengt, bekommt von Brüssel am meisten.

Tschechien hat nicht nur eine niedrige Arbeitslosigkeit, sondern auch eine niedrige Staatsverschuldung und hohe Wettbewerbsfähigkeit. Keynesianer, die EZB und die Südeuropäer wollen ja immer mit Staatsschulden die Arbeitslosigkeit bekämpfen – vergeblich, wie wir seit Jahren sehen.

Hinzu kommt, dass Tschechien nicht den Euro hat. „Durch die Wechselkursschwächung der tschechischen Krone besitzt das Land im Gegensatz zum Euro-Land Slowakei einen weiteren Vorteil.“ Denn Wechselkurse wirken wie eine automatische Zollschranke. Kauft ein Land viele Waren im Ausland, dann werden die Auslandswährungen viel nachgefragt. Diese Nachfrage verteuert die ausländischen Währungen und verbilligt die eigene. Damit werden zugleich die Auslandswaren, die in Auslandwährung zu bezahlen sind, teurer (Zölle auf Einfuhren wirken genauso). Für das Ausland verbilligen sich dabei die tschechischen Waren, was die Ausfuhr fördert. – Genau dieser Mechanismus fehlt Griechenland u.a.

Doch nicht alles glänzt in Tschechien. Das Land hat zwei Bremsklötze, die das Handelsblatt deutlich herausstreicht: die Korruption und den Fachkräftemangel.

Allerdings hat Tschechien bei der Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität in den letzten Jahren aufgeholt. Nach der Antikorruptionsorganisation „Transparency International“ ist das Land von Platz 53 auf 37 vorgerückt (Deutschland Platz 10, Dänemark 1).

Der Markt für Fachkräfte ist leergefegt. Unternehmen im Prager Bereich müssen Aufträge bereits ablehnen.  Nun empfehlen Neoliberale, EU u.a. zur Lösung Migranten. „Doch von Migranten will die tschechische Regierung unter ihrem sozialdemokratischen Premier Bohuslav Sobotka nichts wissen. Das EU-Land lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland ab.“

Erstaunlich, dass mit Migranten der Fachkräftemangel behoben werden soll. So stellte die Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg fest, dass nur elf Prozent der Flüchtlinge eine Ausbildung haben, die dem Facharbeiterniveau entspricht, „81 Prozent besitzen keine formale Ausbildung“. Doch vor der Ausbildung muss noch das Erlernen der Landessprache stehen.

Die bisherigen Erfahrungen in Deutschland zeigen einen mühsamen Weg: „Im Zuzugsjahr sind durchschnittlich acht Prozent der erwerbsfähigen Flüchtlinge in Beschäftigung integriert. Nach fünf Jahren steigt der Anteil auf knapp 50 Prozent, nach 10 Jahren auf knapp 70 Prozent.“ Der jeweilige Rest braucht Sozialhilfe. Verständlich, dass die Arbeitsagentur die Zeiten künftig verkürzen will. „Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren 20 Prozent der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive eine duale Ausbildung zu vermitteln. Dafür stehen uns alle Mittel der Arbeits- und Ausbildungsintegration zur Verfügung.“ [Uta Heinemann, in: Flüchtlinge sind Fachkräfte von übermorgen – Herausforderungen bei der Integration in den Arbeitsmarkt, in: Landkreisnachrichten Baden-Württemberg, 1/2016, S. 23 ff]

Doch hier kommt etwas hinzu, was Hans-Werner Sinn ausführte. Ein eingewanderter Flüchtling kostet nach Berechnungen des Volkswirts Bernd Raffelhüschen den Staat zu seiner Lebenszeit per saldo 450.000 Euro, auch wenn er arbeitet. Denn in unserem Sozialstaat zahlen die unteren Einkommensgruppen weniger Steuern und Sozialabgaben. Sie erhalten mehr öffentliche und soziale Leistungen, als ihrem Steuer- und Abgabenaufkommen entspricht. Daher können durch ihre Beiträge auch die Renten nicht sicherer werden.

In einer mittelständisch strukturierten Gesellschaft ohne Armutseinwanderung ist eine solche Umverteilung möglich. Wenn aber zu viele mehr empfangen, als sie einzahlen, kippt der Sozialstaat. Sinn nannte noch die Berechnung von Holger Bonin. Er geht von Kosten zwischen 95.000 und 398.000 Euro je nach Berufsbild aus. Allein von 2015 bis 2017 berechnete das „Institut der deutschen Wirtschaft“ die Kosten der Migration für den deutschen Staat auf rund 55 Mrd. Euro. [Handelsblatt, 28.06.2016]

Wenn also Tschechien seinen Fachkräftemangel mit Migranten beheben wollte, dann ginge die Rechnung kaum auf. Da ist ein anderer Vorschlag viel besser. Derzeit findet die Berufsausbildung in Tschechien fast vollständig an Berufsschulen mit veralteten Werkstätten statt. „Das duale System in Deutschland könnte hier ein Vorbild sein. Die Reform der Ausbildung ist überfällig. … Das Bildungssystem muss möglich machen, dass die Schüler die neue Technologie anfassen können. Dass sie mit ihr arbeiten lernen. Das geht eben nur direkt in den Unternehmen.“ [Handelsblatt, 10.10.2016]

In diesem Zusammenhang ist unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zu loben. Er hat sich in den letzten Tagen für zwei wichtige Reformvorhaben stark gemacht. Einmal forderte er: „Wir müssen unsere Berufsschulen fit machen für das Zeitalter der Digitalisierung." Eine Industrie 4.0 brauche auch Berufsschulen 4.0. Die Initiative soll nach Gabriels Vorstellung schon möglichst Anfang 2017 starten und ein Volumen von einer Milliarden Euro haben.“ [Handelsblatt, 17.10.2016]  

Ein ganz anderes Thema, aber auch zu loben ist, dass Gabriel den Ausverkauf der deutschen, vor allem mittelständischen Unternehmen an China u.a. stoppen will. Dazu hat er sogar den EU-Kommissar Oettinger (CDU) gewonnen.  Beide konnten auf die Praxis in anderen Ländern verweisen. „Gesetzlich besitzt der US-Präsident ein Veto-Recht gegen jede Transaktion. … China kontrolliert genau, wer in der Volksrepublik wo investieren darf.“ In England wollten Chinesen sich an einem 20 Mrd. Euro teuren neuen Atomkraftwerk beteiligen. „Doch dann stoppte Premierministerin Theresa May das Projekt. Sie brauche Bedenkzeit.“ China ist verstimmt. Sogar der Hauptgeschäftsführer des „Bundes der Deutschen Industrie" meint plötzlich: „Wir brauchen eine ehrliche Diskussion über die Interessen Deutschlands und Europas.“ [Handelsblatt, 18.10.2016] – Das alles klingt schon etwas nach Abschied vom globalen Neoliberalismus.  

In eigener Sache:

Unser Buch „Die Soziale Volkswirtschaft“ befindet sich in der letzten Überarbeitung und soll bis Jahresende fertig sein. Daher können die „Tagesgedanken“ einstweilen nur 14-tägig erscheinen. Wir bitten um Verständnis.

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