49. Wohin steuert China?

Tagesgedanke:

Die Chinesen glauben nicht an die „unsichtbare Hand“ der Neoliberalen. Sie denken strategisch und langfristig. Sie kämpfen mit taktischer List.

Zum Nachdenken über Tags:

Der Westen meint, für China könne es nur eine Entwicklung geben: „Hin zu einer westlichen Gesellschaft mit Marktwirtschaft und liberalem Rechtsstaat. Dabei wird übersehen, dass das Land bewusst einen anderen Weg einschlägt.“ Das ist das Urteil des Juristen und Chinakenners Harro von Senger (geb. 1944). Der Schweizer war von 1998 bis 2009 Professor für Sinologie an der Uni Freiburg im Breisgau. Er hat sich ein Leben lang mit China und chinesischem Denken beschäftigt.

Auch wer nur genauer die Wirtschaftspresse verfolgt, muss erkennen, dass die Chinesen die Marktwirtschaft nur als taktisches Mittel, nicht als strategisches Ziel im Auge haben. Dabei sind altes chinesisches Denken und Handeln mit dem sogenannten Sinomarxismus verschmolzen.

Altkanzler Helmut Schmidt berichtete im „Tagesspiegel“ über ein Gespräch mit dem greisen Deng, dem tatsächlichen Machthaber von 1979 – 1997. Helmut Schmidt sagte: „Eigentlich habt ihr euch doch einen ganz falschen Namen gegeben. Ihr nennt euch Kommunistische Partei, dabei müsstet ihr Konfuzianische Partei heißen.“ Einen Augenblick stutzt Deng, dann sagt er: „So what!“ Auf Deutsch „Was hast du dagegen!“ Schmidt meinte, Deng sei weit weniger Kommunist als Konfuzianer.

Es gibt wenige, die wie von Senger das chinesische Denken und Recht, die Unterlagen der kommunistischen Partei und die amtlichen Planungen Chinas sorgfältig studiert haben. Danach bilden drei Denkräume die Grundlage für die heutige chinesische Politik und Volkswirtschaft:

1. Die Supraplanung (Moulüe). Es ist eine uns völlig fremde Langzeit-Strategie. Sie führte zu zwei 100-Jahres-Zielen der Kommunistischen Partei. Senger betont, wie erfolgreich seit Maos Tod (1976) die jeweiligen Ziele durch das offensichtlich durchsetzungsstarke Regime erreicht wurden. Künftig soll bis zum 100. Gründungstag der KPCh, also 2021, eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand aufgebaut sein. Bis 2049, dem 100. Gründungstag der Volksrepublik, soll das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt das Niveau eines Schwellenlandes erreichen.

Das Ziel „Made in China 2025“ heißt, bis dahin sollen alle noch in westlicher Hand befindlichen Schüsseltechnologien erworben sein. Das Land will also in zehn Jahren zu den starken Fertigungsländern aufschließen und 2049 eine weltweit führende Technologie und Industrie aufgebaut haben. „Die Übernahme des deutschen Roboterherstellers Kuka und der geplante Einstieg bei Osram sind Teil dieser Supraplanung.“ [Harro von Singer in: VDI nachrichten (VDI =Verein Deutscher Ingenieure) vom 28.10.2016, mehr dazu in: Harro von Senger, Moulüe - Supraplanung: unerkannte Denkhorizonte aus dem Reich der Mitte, München 2008]

2. Der Sinomarxismus ist die offizielle Doktrin der Volksrepublik China. Für jeden Chinesen und erst recht Funktionär ist er Pflichtlehrstoff. Von der Mittelschule an aufwärts wird er gelehrt und mehrfach geprüft. Die Bedeutung des Sinomarxismus wird im Westen verdrängt. Selbst Samuel Huntington nahm ihn nicht ernsthaft zur Kenntnis.

3. Die Strategemkunde (Zhimou): Wir können sie auch Kriegskunst oder genauer Kriegslist nennen. Sie unterscheidet sich von der „Strategie“ im Sinne von Clausewitz. Bei ihm ist die „Kriegslist“ nur eines von vielen taktischen Mitteln. „Strategem“ geht zurück auf den General und Philosophen Tan Daoji († 436) und ist heute in China ein Bestandteil des Allgemeinwissens. Darüber hat Harro von Senger schon vier Bücher veröffentlicht, darunter „36 Strategeme für Manager“, das bereits in chinesischer, englischer, spanischer, holländischer und 2008 in japanischer Sprache erschienen ist. – Überhaupt stehen derzeit chinesische Strategiebücher hoch im Kurs. [z.B. Sun Tsu, Die Kunst des Krieges, Hamburg, 16. Auflage 2016, General Sun Tsu lebte um 500 v. Chr.]

Zur Vertiefung:

Für das langfristige kulturelle, politische und wirtschaftliche Überleben Europas sollten wir den Ausspruch von General Sun Tsu beherzigen: „Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.“

Dabei sollten wir uns klarmachen, dass die Chinesen einen Vorteil haben. Sie entwickeln ihre Strategien in einem starken, von außen nicht durchschaubaren Staatsapparat. Sie beobachten, denken und handeln zielgerichtet – und getarnt. Auf die „unsichtbare Hand“ warten sie nicht. Dabei haben sie große Staatsunternehmen und Staatsbanken sowie durch ihre Ausfuhrüberschüsse große Fremdwährungsreserven, vor allem in US-Dollar. Damit lässt sich arbeiten, vor allem im Ausland.

Inzwischen wird vom „chinesischen Modell“ manches erkennbar. Sie haben begonnen, die vielen US-Staatsanleihen und US-Dollars aus ihren Exportüberschüssen in der Realwirtschaft anzulegen. Denn beim Platzen der Blase sind auch amerikanische Staatsanleihen wertlos. Dazu haben sie sich die Infrastruktur und derzeit vor allem Afrika ausgesucht. „Ein Kontinent wird schanghait: Warum man in Afrika so viele Chinesen trifft“, heißt es schon. In Dschibuti haben sie eine Militärbasis, in vielen Ländern bauen sie Häfen, Straßen, Brücken, Hochhäuser. In der Republik Kongo gibt es einen Schlager: „Chinesen bauen immer nachts, und wenn man morgens aufwacht, gibt es schon wieder ein Stockwerk mehr.“ Schwerpunkt sind die Infrastruktur mit Bahn- und Straßenbau, Luftfahrt, Stromversorgung und auch Telekommunikation. Ziel sind einmal die Rohstoffe Afrikas. Und sie wollen langfristig eine gute Grundlage für den Absatz ihrer Waren. Schon jetzt überschwemmen chinesische Billigwaren die Märkte in vielen afrikanischen Ländern. [dazu: Alex Perrys, In Afrika: Reise in die Zukunft, Frankfurt 2016]

Der Ausfuhrüberschuss Chinas nach Afrika betrug 2015 rund 40 Mrd. US-Dollar. Und Chinas Präsident Xi Jinping hat 2015 den Ländern Afrikas Investitionen von 60 Mrd. Dollar in den nächsten 3 Jahren zugesagt, vor allem für die Infrastruktur.

Doch nicht nur in Afrika zeigt sich das strategische Denken der Chinesen, auch in Eurasien. Als der chinesische Ministerpräsident die Kanzlerin Merkel besuchte, bat er um einen Besuch in Duisburg. Dort traf gerade ein Güterzug aus China ein. Den wollte er mit Merkel am 28.03.2014 begrüßen. China will bessere Eisenbahnverbindungen nach Europa. Sie wissen, in der Luft wird es eng und abgehoben befördert sich am teuersten. Bereits jetzt trifft dreimal in der Woche ein Güterzug aus der 8.000 Kilometer entfernten Millionenstadt Chongqing ein und fährt wieder zurück. Der Seeweg ist lang und langsam. Eine Bahn quer durch Eurasien ist für Chinas Absatz strategisch am günstigsten. Den Hafen Piräus bei Athen wollten sie ja schon vom bankrotten Griechenland kaufen.

Doch schon 2011 sah es das Handelsblatt dramatischer: „Dampfwalze China rollt nach Europa“ hieß die Überschrift. Eine Landkarte mit Fähnlein zeigte, wo die chinesischen Staatskonzerne bereits eingestiegen sind. Doch was nützt es, wenn es in der Wirtschaftspresse steht. In der Politik und EU nimmt es niemand kritisch auf und entwickelt Gegenstrategien. So heißt es zu Recht in den VDI nachrichten: „Der Bundesrepublik fehlt der industriepolitische Kompass“. [VDI nachrichten, 24.06.2016]

Mit China wird es aller Voraussicht noch Schwierigkeiten geben. Denn das Land will wirtschaftliche mit politischer und militärischer Macht verbinden. Sehr imperialistische Ziele scheinen durch, obwohl das Land des Lächelns weithin undurchschaubar ist. Nach den USA rüstet China am meisten militärisch auf. Im südchinesischen Meer stellt es weitgehende Ansprüche auf Seegebiete und mögliche dortige Bodenschätze. Taiwan will es militärisch erobern. China nutzt nicht nur seine Macht auf dem Weltmarkt, sondern auch seiner Streitkräfte. Schon Napoleon sagte: „Weckt mir den schlafenden Riesen China nicht!“ Er ist wach, wir müssen wachsam sein.

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