Friedensdienst für alle
Gerhard Pfreundschuh / Roland Ziegler
Teil II
Für junge Deutsche ist auch der Wehrdienst ein Friedensdienst. Sie sollten im Frieden zwischen bewaffnetem und unbewaffnetem Friedensdienst wählen können. Ein Angriffskrieg ist nach unserem Grundgesetz (Art. 26 I GG) nicht nur verboten, sondern unter Strafe gestellt. Wenn sich alle Länder nur verteidigen, kann es folgerichtig keinen Krieg, nur allseitigen Frieden geben; das wusste schon Clausewitz. Doch wer keine Verteidigungsfähigkeit besitzt, reizt fremde Mächte zur Eroberung.
Andere Unruhen und Kriege sind durch die Gegensätze von Armut und Reichtum, von Religionen und Nationalitäten, durch soziale und gesellschaftliche Spaltungen nicht ausgeschlossen. Terror und Kriminalität, Bandenkriege und zerfallende Staaten sind erkennbare Folgen. Nach schweren Anschlägen hören wir heute oft, dass sich Europa und die Welt durch Terroristen und Fundamentalisten in einem Dritten Weltkrieg befänden. Dabei sollten wir auch „über die Frieden stiftende Funktion von Grenzen nachdenken“ (Antje Vollmer, Grüne).
Wir müssen über die rein militärische zu einer zusätzlichen, zivilen Friedensstrategie mit dem Ziel „Weltfrieden durch Wohlstand für alle Länder“ vorstoßen. Das gilt für die äußere wie für die innere Sicherheit, die sich immer enger verflechten.
Für Europa ist das strategische Ziel für die innere wie die äußere Sicherheit: Sicherung des langfristigen Überlebens Europas, seiner Kultur und Nationen in Frieden und Freiheit bei angemessenem Wohlstand.
Für Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) waren dabei fast alle Risiken gering im Vergleich zur „bedrohlichsten Veränderung“ für Europa: Die „bevorstehende Gefahr einer Marginalisierung der europäischen Kultur“ durch die „Schrumpfung der europäischen Bevölkerung.“ (Handelsblatt 04.07.2012, S. 55; ebenso in: Helmut Schmidt, Ein letzter Besuch, 2013, S. 44 ff., 158)
Ohne Nachkommen bricht auch der Sozialstaat zusammen. Einwanderer schaffen es nicht, wie in Teil 1 gezeigt. Damit stellen sich für den Friedensdienst der Deutschen einige überlebenswichtige Aufgaben.
Allein mit Geld und Gesetzen werden wir die sozialen und familienunterstützenden Aufgaben nicht bewältigen. Wir brauchen dazu den Friedensdienst für alle. In Kitas und Altenpflege, in Krankenhäusern und im Reha-Bereich fehlt für die einfache Arbeit das Personal. Die Fachkräfte sind weithin unterbezahlt und müssen unterbewertete Arbeiten verrichten. Die Zivis waren eine echte, viele sagen unverzichtbare Hilfe. Ein flächendeckendes Angebot an Kitas und Ganztagesschulen ist keineswegs vorhanden. So ist für die Eltern nicht wie in Skandinavien, Frankreich oder der früheren DDR die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben. Zu wenige Geburten sind die Folge.
Um Friedensdienstler hier erfolgversprechend einzusetzen, müssen sie zuerst im vorgesehenen Bereich eine vierteljährliche Grundausbildung durchlaufen. Die restlichen 15 Monate sind mit einer dualen Fortbildung zu verbinden. Damit würden die Profile und Stellenbeschreibungen der festangestellten Fachkräfte von vielen einfachen Arbeiten entlastet, sie wären dadurch höher zu bewerten und zu bezahlen. Außerdem dürfte sich die Bewerberlage für die sozialen Berufe deutlich verbessern; so wie die Wehrpflicht der Bundeswehr den Nachwuchs sicherte.
Nun hat nicht jeder die Neigung und Eignung für den sozialen Bereich. Daher müssen den Dienstleistern Wahlmöglichkeiten angeboten werden. Manche wenden sich gern Menschen zu, andere lieben die Natur und Umwelt, wieder andere Technik und Bauen. So können sich Beruf und Friedensdienst ergänzen. In allen Bereichen gibt es einfache Arbeiten, die zu Niedriglöhnen führen oder heute schlicht nicht erledigt werden. Vieles bleibt liegen; das gilt im Denkmal- und Umweltschutz, bei der Sauberkeit und Verschönerung z.B. des Wohnumfelds oder der Gewerbegebiete. Es gilt für die einst so erfolgreiche Dorfentwicklung und Stadterneuerung. Oder man besichtige den baulichen Zustand vieler Schulen in Nordrhein-Westfalen. Vieles ist zu teuer, der öffentlichen Hand fehlt das Geld, in den Unternehmen zählen nur Gewinnzahlen. Doch Kultur, die das Leben für alle kultiviert, kostet Arbeit. Jeder sollte hier einmal Hand anlegen und die einfachen Arbeiten kennen und schätzen lernen. Das wäre auch eine gewisse Gegenleistung für das kostenlose Bildungssystem und die soziale Sicherheit in Deutschland.
Außerdem haben wir einen erheblichen Prozentsatz von jungen Menschen ohne Berufsabschluss. Nach dem „Zensus 2011 bis 2013“ herrschte Aufregung. Die Bild-Zeitung verkündete: „Die Wahrheit über Deutschland – 26,6 Prozent haben keinen Berufsabschluss.“
Zum gleichen Thema schrieb das Handelsblatt: „Fast 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren haben in Deutschland keinen Berufsabschluss und befinden sich auch nicht mehr in Qualifizierungsmaßnahmen. 46 % davon haben einen Migrationshintergrund. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hervor. Unter den 1,484 Millionen ungelernten jungen Menschen sind 729.000 Frauen.“ (Handelsblatt 26.04.2011)
Es wird die Ansicht vertreten, durch die Globalisierung gingen immer mehr Arbeitsplätze für gering Qualifizierte verloren. Es heißt, bei ihnen würden „Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen auf enge begabungs-, milieu- und altersbedingte Grenzen stoßen“. (Frank Pilz, Der Sozialstaat, hg. Bundeszentrale für politische Bildung, 2009, S. 289) Auch der Agenda 2010 wird vorgeworfen, sie habe keine Wende gebracht. Manche Sozialwissenschaftler behaupten sogar: „Sie hat den Unterschichten keine einzige neue Chance eröffnet, dafür aber eine Menge materieller Verluste beschert.“ (Franz Walter, zitiert nach Frank Pilz, a.a.O., S. 306)
Das hat zur Theorie der Zwei-Drittel-Gesellschaft geführt. Danach ist ein Drittel der Bevölkerung zu dumm für einen modernen Arbeitsplatz. Sie müssten dauerhaft von Sozialhilfe leben und seien in der Schule auf ein erwerbsloses Leben vorzubereiten. (Peter Glotz, SPD, Eine Kultur des Wandels schaffen, Speyerer Vorträge, Heft 29, Speyer 1994; Denkschrift der Kommission ‚Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft‘ beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, 1995, S. 48 ff.)
Die Gegenstrategie geht auf Altkanzler Gerhard Schröder u.a. zurück. Sie fand im „Konzept des aktivierenden Sozialstaats“, der „neuen sozialen Gerechtigkeit“ und der „Neuen Mitte“ ihre Ausformung. Leitbild ist im sozialen Bereich der aktive Bürger, der zum Koproduzenten öffentlicher und sozialer Leistungen wird und dazu auch aktiv anzuhalten ist. Das soll zu einer Politik der gezielten Befähigung führen. Dazu hieß es: „Beträchtliche, noch zu erschließende Potenziale werden vor allem in den Bereich sozialer Dienstleistungen, der Kultur, der Altenpflege und der Schulen gesehen.“ (Frank Pilz, a.a.O., S. 82.). Gleichzeitig soll auch mittels Sanktionen eine Pflicht zur Mitwirkung eingefordert werden.
Diesen Ansatz hat auch die katholische Soziallehre. „Das bewusste Leben auf Kosten anderer unterminiert das Prinzip der gegenseitigen Verantwortung … Die Höhe von Sozialtransfers an Arbeitsfähige ohne Beschäftigung etwa ist deshalb gebunden an die Bereitschaft der Empfänger, sich nach Kräften um eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bemühen und dazu die zur Verfügung stehenden Bildungsangebote zu nutzen.“ (Elmar Nass, Der humangerechte Sozialstaat, hg. vom Walter Eucken Institut, 2006, S. 268) Jeder hat die seinen Fähigkeiten entsprechende Verantwortung zu übernehmen, damit die Wirtschaft effizient produziert und der Sozialstaat funktioniert. (Nass, a.a.O., S. 281)
Aus Jahrzehnte langer Arbeit mit Wehrpflichtigen und Reservisten, aber auch aufgrund unserer Berufserfahrung sind wir überzeugt, dass es die „engen begabungs-, milieu- und altersbedingten Grenzen“ nicht gibt. Junge Menschen aus allen sozialen Milieus, mit den unterschiedlichsten Schulerfolgen und Begabungen waren sehr erfolgreiche und einsatzfähige Wehrpflichtige. Es war die andere Art des Lernens und der Ausbildung, der Disziplin und der Sanktionen, der Gruppendynamik und der Führung, die zum Erfolg, ja zur Erfolgslust führten. Wir sind der Meinung: Jeder kann etwas, jeder wird gebraucht. Und wer gebraucht wird, entwickelt Selbstbewusstsein und Leistungsbereitschaft.
Dazu müssen aber die sozialstaatlichen Institutionen vom Bund bis zu den Kommunen teils geschaffen, teils noch befähigt werden. Hier setzen Friedensheer und Friedensdienst an. Beiden Seiten, den Dienstleistern und der Gesellschaft, wird erkennbarer Nutzen gestiftet.
Das setzt entsprechende Dienstzeiten und Ausbildungsprogramme voraus. Wie für junge Ausländer ist auch für junge Deutsche ohne Berufsabschluss ein 18-monatiger Friedens- und Ausbildungsdienst im dualen System unverzichtbar. Wer bereit und geeignet ist, sollte bei einer Weiterverpflichtung auf zwei Jahre einen vollwertigen Facharbeiterabschluss bekommen. Auch Laufbahnen zum Meister und zur Führungskraft sollten wie zum Reserveunteroffizier oder Reserveoffizier angeboten werden. Wer schon einen Berufsabschluss hat, kann einen auf 12 Monate verkürzten Friedensdienst ableisten. Dieser muss allerdings mit einer vierteljährlichen Grundausbildung für den vorgesehenen Einsatzbereich beginnen.
Damit ist das Friedensheer ein wichtiger Baustein und eine Institution zum Ausbau und zur Verbesserung der Agenda 2010. Es hat u.a. das Ziel und den Auftrag, Langzeitarbeitslosen und Geringverdienern eine echte Chance zum Aufstieg in den Mittelstand zu bieten.
Dazu kommt die große Aufgabe, einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Generationenfolge und des Sozialstaats zu leisten. Familien ab drei Kindern sollten Anspruch auf kostenlose sozialpädagogische Familienhilfen haben, damit sie Familie und Beruf vereinbaren können. Ohne Hilfen und allein sind Eltern mit drei Kindern überlastet. So wird heute das dritte Kind verweigert, das zur Sicherung der Generationenfolge schon statistisch erforderlich ist. Nur mit einem Friedensheer kann der Sozialstaat und damit der innere Friede gesichert werden.
Dr. Gerhard Pfreundschuh ist Landrat a. D. und Major d. R. Er studierte Recht, Geschichte und Wirtschaft. Er ist Autor der Bücher „Das Militär" (2014) und „Soziale Volkswirtschaft" (2017). Er ist Mitglied der Clausewitz-Gesellschaft.
Roland Ziegler, Oberst d. R. (ehemaliger Kdr. Heimatschutzregiment 75 „Alt-Württemberg") war Landesvorsitzender des Verbands der Reservisten der Bundeswehr (VdRBw) in Baden-Württemberg, Vizepräsident des VdRBw und ist Past-President von CIOR (Internationaler Dachverband nationaler Reserveoffiziersvereinigungen).