Tagesgedanke:
Wer klar denkt, kann auch verständlich sprechen.
„Es ist ein Beweis hoher Bildung, die größten Dinge auf die einfachste Art zu sagen.“ [Ralph Waldo Emerson (1803–1882); amerik. Philosoph und Schriftsteller]
Der Physiker Ernst Rutherford hat einmal gesagt, wenn wir ein Ergebnis nicht in einfachen, nichtwissenschaftlichen Worten erklären können, dann haben wir es nicht wirklich verstanden.
Zum Nachdenken über Tags:
„Alles wird heute immer komplizierter und komplexer“, tönt es aus aller Munde. Doch „komplex“ und „kompliziert“ heißen auf Deutsch nichts anderes als „verwirrt“ und „verwickelt“. Wir müssen wieder lernen, die Gedanken zu entwirren und ein klares Denken zu entwickeln.
Das muss bei der Bildung und Ausbildung beginnen. Sie vermittelt heute immer mehr Einzel- und Besonderheiten. Es fehlen oft der Überblick und die Darstellung der Zusammenhänge. Dann wird vieles einfach und verständlich.
Unsere Fachsprachen in Recht und Wirtschaft, Datenverarbeitung und Ingenieurwesen usw. wurden zu Verständnissperren. Dabei ist die Aufgabe von Sprachen, Verständigungsbrücken zu bauen.
Adenauer wurde 1966 vom Journalist und späteren DDR-Beauftragten Günter Gauß gefragte, ob er die Bezeichnung ,,Großer Vereinfacher der Politik" als Lob oder Abwertung verstehe. Er antwortete: ,,Das halte ich für ein ganz großes Lob. Denn in der Tat, man muss die Dinge auch so tief sehen, dass sie einfach sind. Wenn man an der Oberfläche der Dinge bleibt, sind sie nicht einfach; aber wenn man in die Tiefe sieht, dann sieht man das Wirkliche, und das ist immer einfach." [Süddeutsche Zeitung, 23.02.2001, S. 10]
Auch Albert Einstein meinte, „dass eine theoretische Konstruktion kaum Aussicht auf Wahrheit hat, wenn sie nicht logisch sehr einfach ist.“ [Albert Einstein, zitiert nach John D. Barrow, Das 1 x 1 des Universums, Neue Erkenntnisse über die Naturkonstanten, Darmstadt 2004, S. 49]
Zur Vertiefung:
Die Universität Hohenheim hat die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf Aktionärsversammlungen bei allen 30 Dax-Konzernen, also den 30 größten deutschen Aktiengesellschaften, untersucht. Die Sprachforscher rügten bei den hochbezahlten Wirtschaftslenkern: Keine klare Gedankenführung, überlange Schachtel- und Bandwurmsätze, unverständliche Wörter. Dazu kommt das Kleben an der schriftlichen Vorlage. Nur ein einziger von 30 Rednern hat frei gesprochen.
Rekordhalter für den längsten und unverständlichsten Satz war der Chef der Deutschen Börse.
„In seiner ganzen Pracht lautet der Satz – nebst grammatikalischem Fehler – wie folgt: „Hätten wir die Chance, die sich aus der industriellen Logik und den vielen Vorteilen für die Kapitalmärkte ergeben hätten und die von Ihnen nachvollzogen wurden und zu einer überragenden Akzeptanz des Zusammenschlussvorhabens von über 97 % geführt haben, nicht zu nutzen versucht, hätten wir eine großartige Gelegenheit in Ihrem Interesse und in im besten Interesse der Gesellschaft zur – in der Verantwortung des Vorstands liegenden – Fortentwicklung unseres Unternehmens verstreichen lassen.“ Die stolze Bilanz dieses Bandwurmsatzes: 68 Wörter und rund 500 Zeichen.“ [RNZ, 09.06.2012]
Abschließend stellten die Hohenheimer fest: Je kürzer die Sätze, umso verständlicher seien sie für die Zuhörer. Außerdem sei der innere Aufbau der Sätze wichtig. Die Mehrheit der Reden sei unverständlich und ermunterte zum Weghören.
Eine Ausnahme war René Obermann von der Deutschen Telekom. „Er spricht Klartext“, hieß es. Im Mittelfeld, und damit bei den grundsätzlich unbegabten Sprechern, landete der BASF-Chef Kurt Bock. Ganz unten treffen wir den sonst in der Wirtschaftspresse gelobten und anerkannten Linde-Chef Wolfgang Reitzle. Dabei ist er noch in München Honorarprofessor, sollte also bei Studenten ankommen und verstanden werden. Bei den Versagern findet sich auch Olaf Koch von Metro: „Pikant: Während man Schneider als Finanzfachmann sein Kauderwelsch vielleicht noch nachsehen kann, ist Koch ausgerechnet für Kommunikation verantwortlich.“
Als einziger sprach der Chef von Heidelberger Zement, Bernd Scheifele, frei. Deshalb war von ihm auch keine schriftliche Redevorlage zu haben. Es gab nur einige Folien. Er lief außer Konkurrenz.
Was sagt dazu der „gemeine Mann“ auf dem Marktplatz, dem Martin Luther aufs Maul schaute? „Lauter studierte Leut‘. Doch g’scheit reden haben sie nie gelernt, nicht in der Schule, nicht auf der Uni und im Berufsleben auch nicht.“
Wir sehen hier einen gewaltigen „Bildungsnotstand“ bei unserer sog. „Wirtschaftselite“. Nur wer klar spricht, kann auch klar denken. So darf ein normaler Bürger nicht einmal schreiben; und diese Leute reden so. Dabei verdienen die Herren jedes Jahr Millionen. Für sie sind Aktionärsversammlungen ganz wichtige jährliche Ereignisse. Denn hier sollen sie den Eigentümern der AG, den Aktionären, und der Öffentlichkeit für die Vergangenheit Rechenschaft ablegen und für die Zukunft ihre Strategie darlegen. Möglicherweise reden sie in der Schweiz nun besser und genauer. Denn dort verlangte ein Volksentscheid, dass künftig die Aktionäre in der Aktionärsversammlung die Gehälter der Bosse beschließen müssen.
Die Hohenheimer haben auch in den folgenden Jahren die Dax-Reden untersucht. Sie berichteten von erfreulichen Verbesserungen.
Zum Schluss eine Faustregel, über die manche lächeln, die aber bei unseren Beamten im Landratsamt ungeheurer erfolgreich war:
- Kurze Sätze, deutsche Wörter!
- Ein Gedanke, ein Satz!
- Subjekt, Prädikat, Objekt, Punkt!
- Das zweite Komma zeigt, dass der Satz zu lang wird.
Da alle Mitarbeiter im Landratsamt auf verständliches Schreiben eingeschworen waren, entdeckten sie bei höchsten Gerichten ganz schwache Leistungen. In der Hauszeitung, die sich „Die Büroklammer“ nannte, brachten sie Beispiele. Eine Veröffentlichung ist besonders aufgefallen. Es war ein „Leitsatz“ des BVerwG (Bundesverwaltungsgericht, oberstes Gericht für Verwaltungsstreite). Als Überschrift wählten die pfiffigen Mitarbeiter das Wort
„Untherapierbar“
„Die fehlende Therapierbarkeit eines bei Wiederaufnahme der Arbeit möglichen Wiederauflebens depressiver Symptome, die primär auf geringer Arbeitsmotivation nicht nur für einen konkret zugewiesenen Arbeitsplatz, sondern auch allgemein für jeden anderen amtsgemäßen und laufbahntypischen Einsatz in der Verwaltung der Bundeswehr beruht, ist bei amts- und fachärztlich festgestellter allgemeiner Dienstfähigkeit als Arbeitsverweigerung und schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst zu werten. Ein solcher Fall liegt hier zur Überzeugung des Senats vor.“ [BVerwG, Beschluss des 1. Disziplinarsenats vom 26.02.2003]