65. Bitcoin – eine Krypto-Währung

Tagesgedanke:

Seit längerem geistern Krypto-Währungen wie Bitcoin durch die Welt und den Cyberraum, d.h. das Internet. Viele reden, noch mehr schreiben darüber. Selbst angesehene Professoren aus den US-Eliteuniversitäten erwarten ein neues Zeitalter auf den Devisenmärkten. Wie öfter beim Wirtschaftsgeschehen hat ein Hype, auf Deutsch ein Massenwahn oder freundlicher gesagt eine Massenbegeisterung die Fachwelt erfasst.

Zum Nachdenken über Tags:

Beginnen wir mit Bitcoins. „Bit“ steht für digital und „coin“ für Münze. Wir müssen uns ein Bitcoin also als eine Goldmünze vorstellen, die wir nicht in die Hand nehmen können. Doch sie kann auf dem Bildschirm unseres Rechners erscheinen; damit existiert sie nur virtuell, in der Cyberwelt (Internet). Und wie mit einem echten Goldstückle soll man nun kaufen und bezahlen können. Eine neue Weltwährung soll geboren sein.

Vom ersten Tag an konnte ich das nicht glauben. Denn sofort tauchten bei mir im Kopf die Geldfunktionen auf. Geld ist (1.) ein Tauschmittel, (2.) ein Wertaufbewahrungsmittel und (3.) eine Recheneinheit, mit der wir ein ganzes Vermögen oder Unternehmen in der Buchhaltung abbilden können. Schließlich ist Geld (4.) ein Abstimmungsmittel, wodurch in einem vollkommenen (!) Markt die Kunden letztlich bestimmen, was hergestellt wird, d.h. die Wirtschaft wird in diesem Idealfall vom Kunden an der „Ladenkasse“ oder durch Onlinebestellungen gesteuert.

Wie die alten ‚Goldmünzen‘ sollen nun die ‚Bildschirm-Münzen‘ ein staatsfreies, weltweit anerkanntes und stabiles Zahlungsmittel werden. Dazu werden sie angeblich fälschungssicher in großen ‚Digital-Werkstätten‘ mit hohem Energie- und Programmieraufwand hergestellt. Es soll auch eine Mengenbegrenzung geben, damit sie wie Gold rar bleiben und nicht wie der Sand am Meer wertlos werden.

Nun kommt der Haken. Der Wert des Geldes wird durch zwei Mächte oder Institutionen bestimmt: den Staat und den Markt.

Geld ist ein gesetzliches Zahlungsmittel. Ich kann damit meine Schulden loswerden – sogar wenn mein Gläubiger das nicht will. Er muss nach dem Gesetz meine Euro zur Schuldentilgung annehmen, selbst wenn er lieber Schweizer Fränkli hätte. (Bei Währungskrisen kann es inoffizielle Parallelwährungen geben. Eine solche war die Deutsche Mark zeitweise in Jugoslawien. Nur für DM verkauften oft die Geschäfte ihre Waren. Dann weicht das Gesetz der wirtschaftlichen Wirklichkeit.)

Der Staat muss auch den Geldwert über seine Zentralbank erhalten oder steuern. Die Bundesbank tat das u.a. dadurch, dass sie die Geldmenge dem erstrebten Wirtschaftswachstum anglich. Der Geldmarkt wurde so versorgt, dass es weder zur Inflation (Geldentwertung) noch zur Deflation kam. Strikte oder stabile Geldpolitik hieß das. Sie wurde ab den 1970er Jahren, nach dem Ende des goldgesicherten Bretten-Woods-Systems eingeführt.

Nun kommt der Markt ins Spiel. Wenn Gold international gehandelt wird, bildet sich ein internationaler Goldpreis heraus. Goldmünzen unterschiedlicher Länder haben dann gemäß ihrem Goldgehalt einen vergleichbaren Wert. Bei Papiergeld ist das anders. Das Vertrauen in die Wirtschaftskraft eines Landes sowie Angebot und Nachfrage bestimmen, wie viel eine Landeswährung im Devisenhandel wert ist.

Die Herausgeber der sog. Bildschirm-Münzen glauben nun, ihre Bitcoins ähneln mehr Goldmünzen und nicht Papiergeld. Tatsächlich fehlt im Hintergrund nicht nur ein Staat mit einem Wirtschaftsgebiet, sondern auch eine Zentralbank, die auf Angebot und Nachfrage so reagieren kann, dass die Kroyptowährung stabil bleibt. Stattdessen zogen die Bitcoins die Spekulanten an und lösten einen wahnhaften Spieltrieb der Superreichen aus. Sie können sich mit dem Geld aus ihrer Hosentasche, also mit einigen Millionen, an dem Glücksspiel beteiligen.

Die Bitcoins machten daher je nach Lust und Laune riesige Kurssprüngen. Heute erlebten sie himmelhoch jauchzend, am nächsten Tag zu Tode betrübt. Ein echter, verlässlicher Wert war nie greifbar.

Damit können die Bitcoins die Geldfunktionen überhaupt nicht erfüllen. Als Zahlungsmittel zur Schuldentilgung oder als sicheres Wertaufbewahrungsmittel sind sie untauglich. Das gleiche gilt für sie als Recheneinheit. Wer zu Jahresbeginn seine Buchhaltung in Bitcoins aufgestellt hätte, dem wäre nach wenigen Tagen mit den Kurssprüngen der Bildschirm-Währung völlig der Überblick verloren gegangen.

Was bleibt? Die dahinter liegend Programmiertechnik ‚Blockchain‘ eignet sich gut zur Verschlüsselung von Nachrichten. Banken können damit z.B. Inhaberschuldverschreibungen papierlos im Internet angeblich ganz sicher verschicken. Doch das hat mit Geld nichts zu tun.

Ergebnis und Erkenntnis:

An eine Neuheit kann man auf zwei Wegen herangehen. Der erste Weg ist die Technik. Den gehen immer die Erfinder. Sie erklären z.B. dem Publikum wie ein Auto, ein Computer oder nun Bitcoins funktionieren. Die Technik des Motors musste man in der Frühzeit des Autos bei der Führerscheinprüfung noch kennen und erklären können. Viele erste Info-Veranstaltungen zur EDV erzählten uns nur von Bits und Bytes, erklärten uns das binäre Zahlensystem usw. Die Fach-Idioten waren begeistert von ihrem Fachwissen und versuchten oft vergeblich, normale Anwender zu begeistern. Ähnliches erleben wir nun mit Bitcoin, Blockchain, KI (Künstlicher Intelligenz) und Industrie 4.0.

Der zweite Weg nähert sich der Neuheit von der Anwenderseite. Er verschafft zugleich einen Überblick und vermittelt Zusammenhänge.  Das zeigte uns bei Einführung der EDV im Landratsamt unser junger und pfiffiger Kämmerer Peter Korth.  Er hatte an einem Nachmittag im Jahr 1981 allen gestandenen, alten und jungen Amtsleitern und mir eine Einführung in die neue Bürotechnik zu geben. Mit Begeisterung sprach er von Bits und Bytes, vom Abschied von Lochkarten und der Einführung von EDV-Rechnern und Textverarbeitung am Arbeitsplatz.

Danach nahm ich den Peter Korth noch mit auf mein Dienstzimmer, bedankte mich und sagte: „Herr Korth, wir haben jetzt Freitagnachmittag. Sie haben nun bis Montag Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Erklären Sie die neue EDV so einfach, dass unsere Schreibkräfte es verstehen und gern ihre elektrischen Schreibmaschinen gegen Bildschirm und Tastatur austauschen.“ Er zupfte seinen kurzen Bart und meinte: „Eine verdammt schwere Aufgabe!“ „Herr Korth, Sie sin‘ g‘scheid, Sie könne‘ des“, sagte ich zum Abschied.

Am Montagmorgen passte mich der Herr Korth schon auf dem Flur ab. Er strahlte: „Ich hab‘s!“ Und  dann am Besprechungstisch begann er: „Die EDV ist ganz einfach.“

„So ein Computer ist (1.) eine ideale Schreibmaschine. Die Schreibkräfte brauchen kein Tipp-Ex mehr. Alles kann auf dem Bildschirm problemlos verbessert und neu ausgedruckt werden. Dann ist die EDV (2.) ein großer Karteikasten. In Sekunden kann ich jede Adresse oder sonst was finden, auf meinen Bildschirm holen und in einen Brief einfügen. Schließlich ist der Computer (3.) eine komfortable Rechenmaschine. Ich kann schnell durch die Eingabe von abgefragten Zahlen z.B. die Sozialhilfe ausrechnen lassen. Und jetzt kommt noch ein Knüller. Ich kann (4.) diese Fähigkeiten alle verknüpfen. Die Sachbearbeiterin holt das Muster „Sozialhilfebescheid“ auf den Bildschirm. Sie setzt die Anschrift ein, passt den Text dem Fall an und lässt die Maschine die Sozialhilfezahlung ausrechnen. Mehr ist es nicht.“ –  Inzwischen ist nur noch dazugekommen, dass der Rechner auch (5.) eine Fernmeldezentrale mit weltweitem Internet-Anschluss ist.

Ich war begeistert: „Erzählen Sie niemand mehr etwas von Bits und Bytes und sonstigen Hexenwörtern. Zeigen Sie allen den Nutzen und wie‘s geht. Sie müssen nun ein Schulungsprogramm aufbauen – vom ganz Einfachen zum Schwierigeren.“ –  Die ganze Republik jammerte damals über die Verweigerungshaltung der Leute gegenüber der EDV. Über „Akzeptanzprobleme“ wurde viel geschrieben. Wir hatten keine.

Diesen Ansatz haben auch zwei Professorinnen für das MINT-Studium [MINT = Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik]  empfohlen. In den VDI-Nachrichten [VDI = Verein Deutscher Ingenieure] forderte eine Informatik-Professorin aus Wien ein neues Technikbild, das auch Frauen anspricht. Sie schilderte, wie ihre Universität das gemacht hat:

„Die Verantwortlichen haben sich nicht nur gefragt, wie sie andere Menschen für das Studium gewinnen können, sondern ob sie das bisher vorherrschende Technikbild wirklich vermitteln wollen. Als Ergebnis dieses Reflexionsprozesses unterstreicht die Universität heute den starken Anwendungsbezug von Technik. Das ganze Studium wurde umgekrempelt. Jetzt beginnt die akademische Ausbildung mit der Frage: ‚Welche Alltagsprobleme lösen wir eigentlich mit technischen Mitteln und technischen Instrumenten?‘ Durch dieses gewandelte Selbstverständnis ist es gelungen, den Frauenanteil unter den Studenten nachhaltig auf jetzt 42 % zu steigern.“ Ursprünglich lag er bei 7 %. [VDI-Nachrichten, 21.02.2014].

Ähnlich äußerte sich die Professorin Tina Seidel von der Technischen Universität München [VDI-Nachrichten, 18.10.2013]. –  Wer schon gelesen hat, dass Bitcoins so wie oben von der Anwendungsseite erklärt oder hinterfragt wurden,  der soll sich bitte melden.

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